Interview zu achtsamer Führung
(1) In Ihrem Buch „Leadership Excellence – Wirkungsvolle Führung durch Achtsamkeit“ beschreiben Sie Achtsamkeit als den Megatrend des Jahrtausends. Warum?
Viele Arbeitnehmer haben infolge chronischer Überreizung das Bedürfnis danach, wieder in Balance zu kommen. Namhafte Konzerne, wie BMW, Siemens, Bosch, RWE, SAP, Google, bieten teils seit über 10 Jahren Achtsamkeitspausen, Meditationskurse oder kostenlose Konsultationen von Mental-Coaches an. Dieser Megatrend ist deshalb auch keine nur temporäre Erscheinung. Nachwuchstalente bringen heute ein starkes Selbstbewusstsein mit und äußern hohe Erwartungen an achtsame Führung und reife Führungspersönlichkeiten mit Vorbildcharakter, sowohl aus humanistischer als auch aus spiritueller Sicht. In unserer aktuellen VUKA-Welt ist „always on“ für viele Führungskräfte leider normal geworden, um den hohen Workload bewältigen zu können. So wird überwiegend Aktivität & Anspannung als Normalzustand gelebt. Seit geraumer Zeit spiegelt sich das in Studien der Krankenkassen in jährlich steigenden Burnout-Zahlen, psychosomatischen und psychischen Erkrankungen wider. Mit diesem genauen Gegenteil von Achtsamkeit, geht die unbewusste emotionale Abstumpfung und Distanzierung vom eigenen Selbst einher, weil wir im „Autopiloten“ scheinbar besser in dieser Gemengelage funktionieren können. Doch ist das eigentlich ein Notprogramm, welches sich auf Dauer zerstörerisch auf unsere körperliche und mentale Verfassung und auf ganze Unternehmen auswirkt. Das Erleben von Harmonie als Basis für Erfolg und Leistungsfähigkeit – auch in betriebswirtschaftlich ausgerichteten Systemen – braucht steten Wechsel von Aktivitäts- und Erholungsphasen. So erleben wir am gegenüberliegenden Pol, dass analog zur Beschleunigung die Angebote in den Bereichen Gesundheitsmanagement, Resilienz und Mindfulness ebenfalls zunehmen. Hier geht es im Kern um Achtsamkeit. Beeindruckende Erfolgsstories, wie die der Hotelkette Upstalsboom, die das Thema Achtsamkeit vorbildlich in ihrer Führungskultur etabliert hat, belegen, dass dadurch nicht nur Krankenstände und Fluktuationsraten deutlich gesenkt werden, sondern der neue Spirit sich auch aus einer betriebswirtschaftlichen Sicht in signifikanten Umsatz- und Ertragssteigerungen niederschlägt.
(2) Sie bezeichnen Mitarbeiter und Führungskräfte als das Herz des Unternehmens. Was braucht es, damit dieses Herz mit voller Kraft schlägt?
Wenn wir die Metapher des schlagenden Herzens innerhalb eines lebendigen Organismus (Unternehmen) aufgreifen, dann braucht es zunächst die Bereitschaft der im Unternehmen arbeitenden Menschen (Herzmuskelzellen), sich mit dem kompletten Organsystem verbunden zu fühlen und in eine Art Gleichklang kommen zu wollen. Aus der Physik ist bekannt, dass aus einer elektromagnetischen Perspektive alles mit allem verbunden ist. So kann man in Systemen gut erkennen, wenn einzelne Zellen (Mitarbeiter oder Führungskräfte) sich nicht zum Wohle des Organismus verhalten. Dies wirkt sich toxisch auf das Gesamte aus und wird den Organismus sukzessive von innen heraus zerstören. Aus Studien wissen wir, dass die meisten Unternehmen, die in eine Insolvenz gehen müssen, von innen heraus scheitern. Wenn also in einem Unternehmen eine menschenverachtende Haltung gelebt wird, sei es durch andauernde Arbeitsüberlastung oder destruktive Kommunikationsmuster, dann wird das Herz früher oder später brechen. Das bedeutet, die im Unternehmen arbeitenden Menschen werden ebenso mit destruktivem Widerstand in ihrem Arbeitsverhalten antworten, krank werden, kaum Kreativität mehr anbieten, schlecht über das Unternehmen sprechen und Leistungsträger werden die Firma verlassen. Wenn wir diese Abwärtsspirale um 180 Grad umdrehen, offenbaren sich uns sinnvolle Lösungswege, wie der achtsame Umgang mit den Mitarbeiter-Ressourcen, lösungsorientierte, wertschätzende Kommunikation und insgesamt gesundheitsbewusste Führung. Das alles bedeutet nicht, dass nicht auch hart gearbeitet wird.
(3) Die aktuelle Krise hat in vielen Betrieben zu Veränderungen geführt. Wie gelingt es, mit dem Wandel umzugehen, Veränderung zuzulassen, sie positiv zu nutzen?
Auch wenn Vorstände und Geschäftsführer den nachvollziehbaren Wunsch hegen, schnell zu „neuer Normalität“ zurückzukehren, sind jetzt alle Führungsebenen gefragt, den Wandel seriös zu begleiten. Seriosität bedeutet das Sicherstellen eines menschlichen, mitfühlenden Miteinanders. Die emotionale Verarbeitung der Krise ist bei den Mitarbeitern und Führungskräften noch gar nicht passiert. Deshalb ist es jetzt besonders wichtig, um die Menschen nicht emotional zu verlieren, Raum für Gespräche anzubieten, in denen das Erlebte als Team und auch mit jedem einzeln verarbeitet werden kann. Wie generell in Changeprozessen, wäre es ein fataler Fehler, einfach schnell wieder zur Tagesordnung zurückkehren und diese Trauer- und Verarbeitungsphase überspringen zu wollen. Erst nach einer gewissen Phase der gemeinsamen Aufarbeitung des Zurückliegenden werden die Menschen bereit sein, sich tatsächlich auf die Veränderungen einzulassen und neue Chancen zu sehen. Dies ist für alle Betroffenen ein persönlicher Prozess, der empathischer Führung und viel achtsamer Kommunikation bedarf.
(4) Energie fließt dorthin, worauf wir uns fokussieren. Wie können wir es schaffen, stets das Positive im Blick zu behalten?
Happiness is an inside job! Und hierzu braucht es Training des sogenannten Achtsamkeitsmuskels. Achtsamkeit bedeutet nicht einfach lässige Tiefenentspannung und Komfortzone, sondern ist ein höchst aktives Geschehen. Ein Geheimnis lautet: Bewusste Fokuslenkung. Von der inneren Haltung ist es aus meiner Sicht hilfreich, sich keine unerfüllbaren Erwartungen aufzubürden. Zu Beginn ist es kaum möglich, dauerhaft Positives zu erkennen. Genetisch sind unsere Wahrnehmungsfilter als evolutionäre Überlebenssoftware so konfiguriert, dass wir generell mehr Bedrohliches und Negativität in unser Bewusstsein lassen. Doch war dieses Programm nicht dazu gedacht, rund um die Uhr auf Hochtouren zu laufen, so wie wir das heute meistens leben. Dauerhafte Überspannung signalisiert unserem Unterbewusstsein permanente Gefahr. Aber das stimmt so ja nicht.
Zuerst geht es darum, den Status-quo bewusst wahrzunehmen und das zu akzeptieren, was wir gerade als negativ, unangenehm oder schmerzhaft wahrnehmen. Es beinhaltet auch, uns selbst zu 100 Prozent als einzigartigen, liebenswerten Menschen zu akzeptieren, genau so, wie wir in diesem Moment gerade sind. Auch dann, wenn wir uns als hilflos, unfähig oder destruktiv empfinden. All das ist zutiefst menschlich und darf sein. Erst nach dieser Selbstakzeptanz, die heilend wirkt, werden wir es zulassen können, den Fokus unserer Aufmerksamkeit auf all das Positive zu richten, das immer schon da war, und all die Chancen zu sehen, die genauso zahlreich vorhanden sind, die wir jedoch vorher ausgeblendet hatten.
(5) Führung hat sich in den vergangenen Jahrzehnten stark gewandelt. Worauf kommt es heute an?
Gestandene Führungskräfte, die in Linienorganisationen und engen Strukturen formaler Macht groß geworden sind, erleben gerade, dass die alten Modelle nicht mehr greifen. Führungskräfte sind heute in zunehmend agilen Strukturen immer weniger als Spezialisten gefragt, sondern als empathische Moderatoren und Prozessbegleiter, die nicht als „Herrscher“, sondern als „Dienende“ für ihre Mitarbeiter die Rahmenbedingungen schaffen, um gemeinsam erfolgreich zu sein. Modernes Leadership heißt „situative Führung“ und ist ein bunter Mix unterschiedlicher Stile und Methoden. An dieser Stelle kommt erneut das Thema Achtsamkeit als wesentliches Erfolgskriterium ins Spiel. Es geht um die trainierbare Fähigkeit, feine Signale und subtile Stimmungen wahrnehmen und decodieren zu können.
(6) Haben Sie praktische Tipps für Führungskräfte, die sich einfach umsetzen lassen?
Gerade von Führungskräften wird ja oft Übermenschliches erwartet. Deshalb achten Sie bei allem Qualitäts- und Perfektionsanspruch gut auf sich selbst! Lernen Sie, wieder mehr auf Ihre innere Stimme und Ihre wahren Bedürfnisse zu hören. Je besser es Ihnen selbst geht, umso effektiver werden Sie für das Wohlbefinden und den Erfolg anderer sorgen können. Machen Sie jeden Tag bewusste Pausen, setzen Sie sich dazu fixe Blocker im Kalender und nehmen Sie sich diese Zeit nur für sich. Schalten Sie regelmäßig – besonders in Ihren Pausen und am Feierabend – alle Kommunikationsgeräte ab und seien Sie ganz bei sich. Bewegen Sie sich oft in der Natur und nehmen Sie dabei Ihre Umgebung, Geräusche, Farben, Gerüche, die frische Luft, Temperatur und Ihren Atem ganz bewusst wahr. Zelebrieren Sie es als genussvolles Alltagsritual. Beschäftigen Sie sich mit Sinnfragen, sei es in Bezug auf Ihr alltägliches Handeln als auch auf Ihr Sein an sich. Gönnen Sie sich regelmäßige Reflexion mit einem kompetenten und vertrauensvollen Gesprächspartner oder neutralen Coach. Leben, lieben und lachen Sie viel. Machen Sie sich jeden Tag bewusst, für was alles in Ihrem Leben Sie von Herzen dankbar sein können. Und manchmal heißen die beiden Zauberwörter für ein glückliches Leben einfach NEIN und STOPP.
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