Erfurt (ots) – Blüten über Blüten. Prächtig, schwebend, mitunter unwirklich in all der Üppigkeit und Farbkraft. Das große Blumenbeet im egapark Erfurt macht seinem Namen alle Ehre. Auf 6.000 Quadratmeter Fläche schlängelt sich ein abwechslungsreiches Blütenband mit 35.000 Tulpen, Hyazinthen oder Narzissen und über 20.000 Frühblüher durch den Park. Der „Garten Thüringens“, wie sich der egapark selbstbewusst und stolz nennt, zieht wie jedes Jahr die Blicke auf sich. Wobei es an Fotomotiven nicht nur das große Blumenbeet gibt, auch Rosen-, Stauden- oder Gräsergarten locken.
2018 war mit über 544.000 Besuchern ein Rekordjahr für den beliebten Park. Nun soll es weit über die Millionengrenzen gehen, denn auf dem Gelände als einer von zwei Teilen wird ab Ende April die Bundesgartenschau stattfinden. Mit vielen Besuchern kommt der egapark spielend klar. Ein Blick zurück hilft, denn der Garten hat Historie. „1873 fing alles an. Mit der Entfestigung der Stadtbastion Cyriaksburg übernahm ein Verschönerungsverein die Aufgabe, Bänke aufzustellen und Wege anzulegen. 1930 gab es die ersten parkartigen Gestaltungen“, erzählt Martin Baumann, Denkmalpfleger für Gartenkultur in Thüringen. „Anfang der 50er Jahre hatte der Stadtrat dann beschlossen, einen richtigen Park anzulegen.“ „Kulturpark“ nannte es sich, weil auch Bildungsinhalte angeboten wurden. 1950 gab es die erste regionale Gartenschau. Schon damals lockte der Slogan „Erfurt blüht“ über eine halbe Million Menschen in die Grünflächen auf den Cyriaksberg. Die heile Welt zwischen Dahlien, Heide, Sonnenblumen und Kakteen war willkommene Abwechslung nach dem Krieg. Die Schau wirkte wie ein Farbrausch auf die Besucher. „Angesichts des Nahrungsmangels sollte hier gezeigt werden, wie man den Gartenbau effektiver betreiben kann. Dazu gab es Lehrveranstaltungen und Blumen en masse für die geschundene Seele“, erzählt Baumann, der die Geschichte des Parks in einem lesenswerten Buch beschrieben hat.
Fortan wurde es von Jahr zu Jahr blühender und größer. 1961 wurde die „Erste internationale Gartenbauausstellung der sozialistischen Länder“ (kurz iga) eröffnet. In sechs Monaten kamen rund 3,5 Millionen Besucher. Für Martin Baumann ist der egapark das „bedeutendstes Gartenkunstwerk der DDR“. Im 100. Jahr der Bauhaus-Gründung gibt es eigens eine Grand Tour der Moderne mit 100 herausragenden Bauhaus-Orten bzw. der Moderne mit wegweisender Architektur, in die es der egapark als einziger Garten geschafft hat.
In keiner Grünanlage Deutschlands finden sich so viele Reminiszenzen an die 1960er Jahre. „Die Parkanlage ist keine der üblichen Landschafts- oder Stadtparkanlagen. Das Gelände wurde mit breiten Wegen und Plätzen gestaltet sowie harmonisch wirkenden Ausstellungsmöbeln. Park wurde komplett durchgestaltet, selbst Farben spielten eine Rolle. Es gab eigens ein von Bernd Heller, Professor an der Hochschule für Architektur und Bauwesen Weimar, entwickeltes Farbkonzept aus Pastelltönen. Penibel wurde festgelegt, welche Bauten welche Farben bekommen. Die Qualität ist hoch, alles ist einheitlich. „Es berührt einen als Besucher, vor allem weil bis Heute vieles von Damals erhalten ist,“ erklärt Baumann. Die Parkbänke im Kontrast Hellblau-Weiß oder mal leuchtend Gelb, die Pavillons, die sich wie Pilze über die Wiese verteilen oder die Ausstellungshallen mit ihrer zurückhaltenden Wirkung. Die halbrunden Blumenschalen im Eingangsbereich stammen ebenso aus der Zeit wie die Wasserspiele. Die Staudenbeete an der Wasserachse gehörten ebenso dazu wie die Pracht großer Flächen. „Es gab Tulpenfelder, einfarbig mit schreienden Rot- oder Gelbtönen, oder das größte Blumenbeet Europas von Alice Lingner, das noch heute die Gäste begeistert. Das alles war eine spektakuläre Schau.“ Die Ausstellungshallen mit ihrer zurückhaltenden Wirkung erinnern eher an Gewächshäuser als an wuchtige Räume für staatstragenden sozialistischen Pomp. Zurückhaltung als Prinzip. Alles sollte sich den flächigen und prachtvollen Pflanzungen unterordnen, Nichts ablenken. Mit 3,5 Millionen Besuchern machte die IGA 1961 sogar im benachbarten Westen auf sich aufmerksam. Die Münchner Gartenarchitektin Gerda Gollwitzer nutzte die Chance, nach Erfurt zu reisen. Sie schrieb damals: „Jeder, der diese Anlage besucht, ist begeistert von dieser Gestaltung aus einem Guss. Es befällt einen eine merkwürdige fröhliche Stimmung.“ Bis zum Ende der DDR war die iga ein Prestigeobjekt. Entsprechend gepflegt und gehegt wurde alles. Mit der Wende wurde der Wert der Parkanlage gleich mehrfach in Frage gestellt. Die Fläche wurde verkleinert, aber das Herz des Parks, die heutige Fläche, blieb weitestgehend erhalten. Mit dem Status als Denkmal wurde Anfang der 1990er Jahre endgültig ein Riegel vor all jenen Bemühungen geschoben, den Park auf ein Minimum zu reduzieren und auf dem Gelände Stadtvillen und Unternehmen anzusiedeln.
Die Moderne rückt mit dem Bauhaus-Jahr ins Zentrum des Interesses. Nun auch der egapark Erfurt. Seit einigen Jahren besinnt man sich auf die Tradition eines Parks als Denkmal und pflegt die Flächen mit Akribie und dem Bewusstsein für die Historie. Ein Gräsergarten wurde neu gestaltet, nach der Sanierung der alten Wasserachse blühen tausende Stauden entlang der Wasserfläche um die Wette. Der Park ist eine Zeitreise, die viel Charme von damals versprüht. Auch eine einzigartige Sammlung von Rosensorten aus der DDR-Zeit erinnert an die besondere Beziehung zwischen der Stadt und dem Gartenbau der Region.
Wer heute über die Fläche flaniert, erlebt eine Zeitreise durch die 1960er und -70er Jahre. „Wenn man sich die Pläne von 1961 nimmt, sieht man, dass die Grundstruktur der Anlage komplett erhalten ist“, erklärt Baumann. Dazu zählen auch gärtnerische Elemente wie die Blumenwiese oder der Begoniengarten. Die Staudenbeete an der Wasserachse gehörten ebenso dazu wie die Pracht großzügig gestalteter farbiger Flächen. Die Gärtnerinnen und Gärtner schaffen es in den immer wiederkehrenden Hitzesommern, die Flächen akribisch zu pflegen und den Gästen Blütenpracht zu bieten. Für die BUGA 2021 wurden viele Bereiche wie der Gräsergarten, die Rosensammlung oder das ehemalige Lilienareal neu gestaltet. Nach der Sanierung der alten Wasserachse blühen Tausende Stauden entlang der Wasserfläche um die Wette. Die Lingnersche Tradition soll zur Bundesgartenschau eine Renaissance erleben und wird zeigen, dass die Moderne heute noch sehr große Ausstrahlung hat – in einem Park voller Geschichten und Geschichte.
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