München (ots) – Der österreichische Forscher Robert N. Grass (41) darf sich Hoffnungen auf den Europäischen Erfinderpreis 2021 machen: Gemeinsam mit dem Schweizer Wendelin Stark (43) entwickelte er ein Datenspeicherungsverfahren, mit dem Daten in DNA-Form in winzigen Glaskugeln versiegelt und fehlerfrei auch nach Jahrtausenden, wieder genutzt werden können. Für diese Leistung sind Grass und Stark, beide Professoren für Chemieingenieurwesen an der ETH Zürich, als Finalisten für den Europäischen Erfinderpreis 2021 in der Kategorie „Forschung“ nominiert. Nach Klaus Feichtinger und Manfred Hackl, die 2019 für ihre „Counter-Current-Technologie“ für verbessertes Kunststoffrecycling ausgezeichnet wurden, hat damit wieder ein österreichischer Forscher Chancen, mit dem Europäischen Erfinderpreis geehrt zu werden. Die diesjährige Verleihung findet am 17. Juni ab 19 Uhr im Rahmen einer digitalen Galaveranstaltung für die breite Öffentlichkeit statt.
„Grass und Stark zeigen, dass ein innovativer, disziplinübergreifender Ansatz technologische Fortschritte mit potenziellem Nutzen für viele zukünftige Generationen hervorbringen kann. Dies gilt insbesondere angesichts der zunehmenden Digitalisierung aller Aspekte des gesellschaftlichen Lebens“, sagt EPA-Präsident António Campinos bei der Bekanntgabe der Finalisten des Europäischen Erfinderpreises 2021. „Der Patentschutz ermöglichte es ihnen, ihre Forschung in eine Unternehmung mit gewerblichen Anwendungen zu verwandeln.“
Digitale Daten über Jahrtausende sichern
Die Menschheit produziert eine unendliche Menge an Daten, die auf Festplatten und Servern mit einer beschränkten Lebensdauer von oftmals nicht länger als einem Jahrzehnt gespeichert werden. Während also Magnetbänder, Disketten und irgendwann auch USB-Sticks anfangen zu zerfallen und sich zu zersetzen, ebnen Grass und Stark den Weg einer Langzeitdatenspeicherung, die diese begrenzte Haltbarkeit überwindet, indem sie die DNA-Speicherfähigkeiten von Fossilien nachahmt.
Die neuartige Methode zur Datenerhaltung und -speicherung basiert auf künstlich eingeschlossener DNA in winzigen Glaskugeln. Digitale Daten werden in einen genetischen Code, der aus einer entsprechenden Sequenz der vier DNA-Basenpaare besteht, umgewandelt und auf einem DNA-Strang gespeichert. Dass diese Form der Datenspeicherung möglich ist, haben bereits andere Wissenschaftler, wie der US-Genetiker George Church im Jahr 2012, bewiesen. Die bisherige Herausforderung der DNA-Datenspeicherung lag jedoch vielmehr darin, dass ungeschützte DNA-Stränge sich sehr schnell chemisch zersetzen, sobald sie Wasser, Luft und Hitze ausgesetzt sind. Grass und Stark ließen sich für ihren Lösungsansatz von Fossilien inspirieren. Denn Fossilien konservieren DNA über Hunderttausende von Jahren.
Technologischer Fortschritt erfordert Blick über den Tellerrand
Mit Hilfe von innovativen und disziplinübergreifenden Ansätzen, unter anderem aus der Verkapselung- und Synthesetechnik, gelang es den beiden, synthetische DNA in Glaspartikel einzuschließen, die bis zu 10 000-mal dünner sind als ein Blatt Papier. Diese nicht-porösen „Glasfossilien“ schützen die DNA vor den meisten Korrosionsmedien und Temperatureinflüssen und können mit einer Fluoridlösung wieder aufgelöst werden, ohne dabei die Information auf dem DNA-Strang zu beschädigen. Nach einer einwöchigen Lagerung bei 70 °C, – das entspricht den Umwelteinwirkungen von ca. 2 000 Jahren bei durchschnittlichen Temperaturen in Mitteleuropa – konnte das Team von Grass eine fehlerfreie Datenwiederherstellung erreichen.
Netflix-Serie und Musik-Album bald im DNA-Format abrufbar?
2018 – genau 20 Jahre nachdem das Album „Mezzanine“ der Gruppe Massive Attack veröffentlicht wurde – legten Grass und Stark das Album im DNA-Format neu auf, indem sie eine 15 MB große Datei in Stränge synthetischer DNA codierten. Weitere Bekanntheit erlangte das Forschungsteam, als sie 2020 die erste Episode der Netflix-Serie „Biohackers“ – eine 100 MB große Videodatei – erfolgreich auf DNA speicherten. Zwar schränken derzeit die hohen Kosten für das Schreiben und Speichern größerer Datenmengen den kommerziellen Einsatz noch stark ein, dennoch rückt das Datenspeicherungspotenzial von Grass und Starks Erfindung immer mehr in den Vordergrund. So zum Beispiel werden die Glasfossilien, die sich als äußerst nützlicher und robuster DNA-Barcode für Tracking-Zwecke erwiesen haben, bereits eingesetzt, um unterirdische Wasserflüsse zu verfolgen oder Produkte in Lieferketten zu verifizieren. „Wir stellen uns in nicht allzu ferner Zukunft eine Welt vor, in der das Lesen von DNA wirklich als Alltagstechnologie zugänglich ist“, sagt Grass. „In der Welt, in der wir arbeiten, ist das Lesen und Schreiben von DNA so, als würde man einen Stift und Papier nutzen – ein viel alltäglicheres Medium, mit dem die Menschen interagieren können.“
Spitzenforscher aus Bregenz
Grass, geboren in Bregenz, studierte ab 1999 Chemieingenieurwesen an der ETH Zürich und lernte dort Wendelin Stark im Jahr 2004 kennen, als er einer von Starks ersten Doktoranden war. Grass promovierte an der ETH Zürich im Jahr 2007 mit einer Arbeit zum Thema Nanopulversynthese und -anwendung. Anschließend gründete Grass die ETH Spin-Off-Unternehmen TurboBeads LLC und hemotune AG und war 2016 Mitbegründer der ETH Spin-Off Haelixa AG, welche die glasverkapselte DNA-Speichermethode kommerzialisiert. Als Titularprofessor am Departement Chemie und Angewandte Biowissenschaften forscht er weiterhin an der ETH Zürich und wird in 13 europäischen Patenten als Erfinder genannt.
Hinweise für die Redaktionen
Informationen zu den Erfindern
Professor Robert N. Grass wurde am 5. Dezember 1979 in Bregenz, Österreich, geboren. Er studierte ab 1999 Chemieingenieurwesen an der ETH Zürich und promovierte dort 2007 mit einer Arbeit zum Thema Nanopulversynthese und -anwendung. Danach gründete Grass die ETH Spin-Off-Unternehmen TurboBeads LLC und hemotune AG. Die von seinem Team seit 2012 entwickelte glasverkapselte DNA-Speichermethode wird von zwei seiner ehemaligen Doktoranden mit dem ETH Spin-Off Haelixa AG, das er 2016 mitgründete, kommerzialisiert. Seit 2017 ist er Titularprofessor am Departement Chemie und Angewandte Biowissenschaften und forscht in dieser Position weiterhin an der ETH Zürich. Sein h-Index von 47 (Google Scholar) kennzeichnet eine sehr hohe Publikationsproduktivität und -wirkung.
Professor Wendelin Jan Stark wurde am 2. Juni 1976 in Zürich geboren. Er studierte an der ETH Zürich, wo er 2000 sein Chemiestudium abschloss. Darauf folgte 2002 eine Promotion in Maschinenbau und Verfahrenstechnik. 2003 wurde Stark zum Assistenzprofessor am Departement für Chemie und Angewandte Biowissenschaften gewählt und 2009 zum außerordentlichen Professor befördert. 2014 wurde er ordentlicher Professor und Leiter des Lehrstuhls für Chemie und Angewandte Biowissenschaften. Während seiner Zeit an der ETH Zürich war Stark Mitbegründer von zehn Unternehmen, wie Haelixa AG und TurboBeads LLC. Zudem ist er Autor von mehr als 300 wissenschaftlichen Veröffentlichung und wurde in den wissenschaftlichen Beirat der Vereinten Nationen für den Global Environmental Outlook gewählt (2014-19). Sein h-Index liegt bei 76 (Google Scholar), was ihn mit einer sehr hohen Publikationsproduktivität und -wirkung als einen der meistzitierten Wissenschaftler in seinem Fachgebiet kennzeichnet.
Stark ist in 24 europäischen Patenten genannt, und Grass in 13. Sie sind im 2018 erteilten EP2831268 (https://worldwide.espacenet.com/publicationDetails/biblio?II=0&ND=3&adjacent=true&locale=en_EP&FT=D&date=20150204&CC=EP&NR=2831268A1&KC=A1#) als Co-Erfinder genannt, für das sie für den Europäischen Erfinderpreis nominiert sind.
Video- und Bildmaterial zu den Erfindern (https://www.epo.org/news-events/press/european-inventor-award/2021/grass_de.html)
Über den Europäischen Erfinderpreis
Der Europäische Erfinderpreis (https://www.epo.org/news-events/events/european-inventor_de.html) ist einer der renommiertesten Innovationspreise Europas. Er wurde 2006 vom EPA ins Leben gerufen und ehrt einzelne Erfinder und Erfinderteams, deren wegweisende Innovationen Antworten auf einige der größten Herausforderungen unserer Zeit geben. Die Finalisten und Gewinner werden von einer unabhängigen Jury bestehend aus internationalen Experten aus Wirtschaft, Politik, Wissenschaft, Akademie und Forschung ausgewählt. Sie prüft die Vorschläge hinsichtlich ihres Beitrags zum technischen Fortschritt, zur gesellschaftlichen Entwicklung, zum wirtschaftlichen Wohlstand und zur Schaffung von Arbeitsplätzen in Europa. Der Preis wird in fünf Kategorien (Industrie, Forschung, KMU, Nicht-EPO Staaten und Lebenswerk) verliehen. Der Gewinner des Publikumspreises (https://www.epo.org/news-events/events/european-inventor/popular-prize_de.html) wird von der Öffentlichkeit aus den 15 Finalisten über ein Online-Voting (https://popular-prize.epo.org/) ermittelt.
Über das EPA
Mit 6 400 Bediensteten ist das Europäische Patentamt (EPA) (https://www.epo.org/index_de.html) eine der größten Behörden in Europa. Das EPA, das seinen Hauptsitz in München sowie Niederlassungen in Berlin, Brüssel, Den Haag und Wien hat, wurde mit dem Ziel gegründet, die Zusammenarbeit zwischen den Staaten Europas auf dem Gebiet des Patentwesens zu stärken. Dank des zentralisierten Verfahrens vor dem EPA können Erfinder hochwertigen Patentschutz in bis zu 44 Staaten erlangen, die zusammen einen Markt von rund 700 Millionen Menschen umfassen. Außerdem ist das EPA weltweit führend in den Bereichen Patentinformation und Patentrecherche.
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Luis Berenguer Giménez
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