Berlin (ots) – Der Anteil von Mädchen und jungen Frauen, die mit der Pille verhüten, ist im vergangenen Jahr erstmals seit zehn Jahren wieder angestiegen. Das hat eine aktuelle Analyse der GKV-Verordnungsdaten ergeben, die im Wissenschaftlichen Institut der AOK (WIdO) vorliegen. Der Verordnungsanteil der kombinierten oralen Kontrazeptiva lag bei den gesetzlich versicherten Mädchen und Frauen im Jahr 2020 bei 35 Prozent und stieg damit um etwa drei Prozent gegenüber dem bisherigen historischen Tiefststand von 2019.
„Die Ursache für diesen Anstieg ist allein darauf zurückzuführen, dass die Altersgrenze für die Erstattung von empfängnisverhütenden Medikamenten im Jahr 2019 von 20 auf 22 Jahre angehoben wurde“, erläutert Dr. Eike Eymers, Ärztin im Stab Medizin des AOK-Bundesverbandes. Der Höchststand der Verordnungen war 2010 mit 46 Prozent erreicht worden. In den folgenden zehn Jahren waren die Zahlen dann kontinuierlich gesunken.
Verordnungsanteil der risikoreicheren Präparate zuletzt bei 52 Prozent
Sorge bereitet Expertinnen und Experten der unverändert hohe Anteil der Präparate mit einem höheren Risiko für die Bildung von Thrombosen und Embolien. Laut der aktuellen Auswertung liegt der Anteil der risikoreicheren Präparate bei 52 Prozent und ist damit gegenüber dem Wert von 2019 (54 Prozent) nur leicht gesunken. „Nach wie vor erhalten mehr als die Hälfte der Mädchen und jungen Frauen Wirkstoffe mit einem erhöhten oder unklaren Risiko für die Bildung von venösen Thromboembolien“, sagt Eymers. „Dabei gibt es Alternativen, deren niedrigeres Risiko durch Langzeitstudien bekannt ist und die Ärztinnen und Ärzte gerade bei der Erstverordnung der Pille zurückgreifen sollten. Insbesondere bei Mädchen und Frauen mit einem erhöhten Grundrisiko – zum Beispiel durch Übergewicht – sollten bevorzugt risikoärmere Wirkstoffe wie Levonorgestrel verordnet werden“, so Eymers.
Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) und das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) hatten die Ärztinnen und Ärzte zuletzt im Juni 2021 im „Bulletin zur Arzneimittelsicherheit“ aufgefordert, bei der Beratung und Anwendung vor allem Präparate mit dem geringsten Risiko für venöse Thromboembolien zu berücksichtigen. Wie notwendig dieser Appell nach wie vor ist, zeigt eine Detail-Auswertung des WIdO zu den verordneten Wirkstoffen: So blieb der Verordnungsanteil des Wirkstoffes Dienogest auch im Jahr 2020 mit 36 Prozent ungefähr auf dem gleichen Niveau wie im Vorjahr (2019: 37 Prozent) – und das, obwohl das Risiko dieses Wirkstoffes für das Auftreten venöser Thromboembolien deutlich erhöht ist und das BfArM daher von der Verordnung bei Risiko-Patientinnen abrät. Das gilt auch für Chlormadinon, dessen Verordnungsanteil sich ebenfalls nur leicht von elf Prozent im Jahr 2019 auf zehn Prozent im vergangenen Jahr verringerte. Der Anteil der risikoärmeren Alternativen an den Verordnungen hat sich zwar zwischen 2010 und 2020 von knapp 30 auf 48 Prozent erhöht. „In den letzten Jahren waren aber nur noch geringfügige Verschiebungen in Richtung der risikoärmeren Wirkstoffe zu beobachten“, so Eike Eymers.
Über Risiken aufklären lassen und auf typische Symptome achten
Eine Zusatzauswertung nach Altersgruppen zeigt, dass der Verordnungsanteil der risikoreicheren Präparate sowohl bei den jüngeren als auch bei den älteren Frauen in gleichem Maße gesunken ist. In der Altersgruppe bis 20 Jahre sank er von 52 Prozent im Jahr 2019 auf knapp 50 Prozent im Jahr 2020, bei den Frauen über 20 Jahren von 59 Prozent im Jahr 2019 auf 57 Prozent im Jahr 2020. Gerade Mädchen oder jüngere Frauen, die das erste Mal die Pille einnehmen wollen, sollten sich laut Eike Eymers über die Risiken aufklären lassen und auf typische Symptome achten: „Anzeichen für eine Thrombose sind starke Schmerzen oder Schwellungen sowie ein Spannungs- oder Schweregefühl im Bein. Auch ein bläulich-rote Verfärbung oder ein Glänzen der Haut am Bein können auf eine Thrombose hindeuten“, so Eymers. Typische Symptome einer Lungenembolie seien plötzlich auftretende Kurzatmigkeit oder Atemnot, atemabhängiger Brustschmerz, Herzrasen oder unerklärlicher Husten.
Vor 60 Jahren kam in Deutschland die erste Pille auf den Markt
Die Pille zur Verhütung ist in Deutschland vor 60 Jahren eingeführt worden: Im Jahr 1961 brachte die Schering AG das erste orale Kontrazeptivum auf den Markt – ein Jahr nach der Markt-Einführung in den Vereinigten Staaten. Die Pille wird in Deutschland von den gesetzlichen Krankenkassen seit Ende Juli 2019 für Mädchen und Frauen bis zum vollendeten 22. Lebensjahr erstattet. Vorher hatte die Erstattungsgrenze beim vollendeten 20. Lebensjahr gelegen. In der aktuellen Auswertung wurden nur die Verordnungsdaten der genannten Altersgruppen berücksichtigt.
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