Gesellschaftlicher Druck macht krank
sup.- Offenes Anstarren, verletzende Kommentare, soziale Ausgrenzung in vielen Situationen: Für Menschen mit krankhafter Fettleibigkeit gleicht der Alltag oft einem Spießrutenlauf. Von ihrem Umfeld werden sie nicht selten als willensschwach und undiszipliniert wahrgenommen. Der vermeintliche Makel durch Adipositas, so der medizinische Fachbegriff, wird manchmal sogar als das letzte sozial akzeptierte Stigma bezeichnet. Allerdings führen Diskriminierung und gesellschaftlicher Druck kaum dazu, adipöse Menschen zum Abnehmen oder zu einer Lebensstiländerung zu motivieren. Im Gegenteil: „Sie neigen stärker zum Frustessen und treiben noch weniger Sport aus Angst vor sozialem Kontakt“ fasst die Medizinerin Prof. Claudia Luck-Sikorski von der Universität Leipzig aktuelle Studienergebnisse zusammen. Ihr Rat: „Wir sollten aufhören, ständig das Essverhalten Betroffener zu kommentieren. Wie viel hat er auf dem Teller? Wie viel im Einkaufskorb? Schauen wir lieber auf unseren eigenen Teller, in den eigenen Korb.“ Da der Umfang von Resorption und Verdauung der Nahrung bei den Menschen ganz unterschiedlich ausfalle, könne man Übergewichtigen auch nicht ein allgemeines Therapiekonzept überstülpen.
Der Publizist Detlef Brendel weist darauf hin, dass Bevormundung und Belehrungen auch bei normalgewichtigen Menschen eher das Gegenteil dessen bewirken, was beabsichtigt war. Eine Flut von pseudo-wissenschaftlichen Ernährungsratgebern, Verzichtsempfehlungen und Verbotslisten sorge bestenfalls für Verunsicherung, zunehmend aber auch für gravierende Essstörungen. Aus Angst, etwas Falsches zu verzehren, wird der Genuss am Essen komplett dem Stress der vermeintlich gesunden Nahrungsmittelauswahl untergeordnet. In seinem Buch „Schluss mit Essverboten“ (Plassen-Verlag) plädiert der Autor stattdessen für ein einfaches Ernährungskonzept: „Ausgewogen und vielseitig essen und dabei auf eine gute Balance zwischen den aufgenommenen Kalorien und dem Verbrauch durch körperliche Aktivität achten. Der eigene Körper signalisiert, was er braucht, was ihm schmeckt und was ihm bekommt.“ Deshalb, so Brendel, könne es auch hier keine allgemeingültigen Vorgaben und Empfehlungen geben: „Diese Balance soll individuell sein, weil die Natur die Menschen nicht in Standardgrößen vorgesehen hat.“
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