Protektionismus ist das neue „Normal“
> Welthandel verzeichnet 2019 mit +1,5% niedrigstes Wachstum (Volumen) der letzten Dekade
> Wert der gehandelten Waren und Dienstleistungen im Minus (-1,7%)
> China größter Verlierer beim Export, Deutschland auf Sparflamme
> Österreich betroffen von Abschwächung in Deutschland und Italien
> Europa könnte 2020 stärker ins US-Visier geraten
Der Welthandel schwächelt aktuell weiter. 2019 dürfte der Handel von Waren und Dienstleistungen mit einem schmalen Plus von 1,5% das niedrigste Wachstum (Volumen) in der gesamten letzten Dekade verzeichnen. Beim Wert der gehandelten Waren dürfte für 2019 am Ende sogar ein Minus von -1,7% stehen, das vor allem dem Einbruch bei den Rohstoffpreisen geschuldet ist. Zu diesem Schluss kommt die aktuelle Studie von Acredia in Zusammenarbeit mit Euler Hermes. Insgesamt hat der schwache Welthandel 2019 für Exporteure zu Verlusten von 420 Milliarden US-Dollar (Mrd. USD) geführt.
„Auch für 2020 erwarten wir keine großen Verbesserungen“, sagt Gudrun Meierschitz, Vorständin von Acredia, Österreichs führender Kreditversicherung. „Das Schlimmste liegt vermutlich hinter uns, allerdings erwarten wir im kommenden Jahr nur magere 1,7% Wachstum beim Welthandel. Auch der Handelskonflikt mit seinen Zöllen verschwindet 2020 nicht plötzlich von der Bildfläche.“
Der ‚Mini Deal‘ zwischen den USA und China, der schwächelnde Handel von Dienstleistungen sowie ein vollgepackter politischer Terminkalender mit jeder Menge Unsicherheiten lassen wenig Hoffnung auf wirkliche Verbesserungen zu. Das Wachstum der Weltwirtschaft verlangsamt sich noch weiter auf +2,4% (2019: 2,5%).
+ 2019: China größter Export-Verlierer, Deutschland auf Sparflamme +
„Der schwache Welthandel bringt 2019 eine Reihe von Verlierern mit sich“, sagt Meierschitz. „Zu diesen gehört neben China auch Deutschland. Das ist wenig überraschend, denn keine andere große Exportnation hat mehr Handelspartner als Deutschland und ist mehr vom globalen Handel abhängig. Negative internationale Entwicklungen schlagen demnach schnell auf Wirtschaft und Unternehmen durch. Insbesondere der mit 13% hohe Exportanteil von Automobilen und Investitionsgütern wirkt sich aktuell negativ aus, ebenso wie die ungünstige geografische Verteilung der Exporte. Fast 20% gehen nach China, Italien und Großbritannien.“
Chinas Exportverluste belaufen sich auf -67 Mrd. USD, Deutschland folgt im internationalen Vergleich auf Rang 2 mit -62 Mrd. USD. Bei den Branchen verzeichnen 2019 die Elektronik- (-212 Mrd. USD) und Metallbranche (-186 Mrd. USD) sowie der Energiesektor (-183 Mrd. USD) nach Berechnungen der Studie die größten Einbußen beim Export.
+ Österreich betroffen von Abschwächung in Deutschland und Italien +
„Zusätzlich zum Gegenwind durch die globale Abschwächung und die Unsicherheit im Handel leiden die österreichischen Exporte auch unter der Negativentwicklung wichtiger Exportmärkte wie Deutschland (29,4% der Exporte sind für den Exportmarkt Nummer 1 bestimmt) und Italien (6,5% der Gesamtexporte). Beide Länder stagnieren und die wirtschaftliche Dynamik wird auch 2020 verhalten bleiben“, kommentiert Marina Machan, Acredia Risikoexpertin, die aktuelle, weltwirtschaftliche Entwicklung, die leider auch für Österreich nachteilig ist.
+ Zunahme bei Handelsbarrieren nach Negativrekord im Vorjahr nur leicht gebremst +
Grund für den schwachen Welthandel ist nach Ansicht der Euler Hermes Experten zum einen das deutlich langsamere Wachstum der Weltwirtschaft mit 2,5% im Jahr 2019 im Vergleich zu noch +3,1% im Vorjahr. Zudem können zwei Prozentpunkte bei den Einbußen über zwei Jahre (2019 und 2020) direkt auf die großen Unsicherheiten und die höheren weltweiten Zölle durch den Handelskonflikt zurückgeführt werden.
„Protektionismus ist das neue Normal“, sagt Gudrun Meierschitz. „2019 wurden mit 1.291 neuen Maßnahmen weltweit zwar etwas weniger neue Handelsbarrieren implementiert als im Vorjahr. Allerdings markierte 2018 auch einen Negativrekord mit 1.382 neuen Handelsbarrieren. Im laufenden Jahr sind es immer noch fast vier Mal so viele als noch vor zehn Jahren: 2009 waren es gerade mal 331 neue Maßnahmen.“ Zwischen 2017 und 2019 wurden zudem drei Mal weniger Freihandelsabkommen unterzeichnet als in den zwei Jahren zuvor.
+ Aussichten 2020: USA und China Deal ist nicht der Durchbruch +
„Das Wachstum bleibt auch 2020 weiterhin schwach und der aktuelle ‚Mini Deal‘ im Konflikt zwischen den USA und China ist für die Weltwirtschaft nicht der Durchbruch. Zudem steigt die Sorge, dass die USA bei einer weiteren Annäherung an China ihre Handelspolitik 2020 verstärkt auf Europa konzentrieren dürften“, so Meierschitz weiter.
+ Eskalation zum Handelskrieg nicht wahrscheinlich – Deeskalation aber auch nicht +
„Wir gehen davon aus, dass wir weiterhin in einem Handelskonflikt-Szenario bleiben“, interpretiert Marina Machan die aktuelle Analyse. „Eine Eskalation zum Handelskrieg erscheint aktuell eher unwahrscheinlich, eine wirkliche Deeskalation zeichnet sich nach unserer Einschätzung allerdings auch nicht ab. Die USA werden vor den Wahlen vermutlich auf eine weitere große Zollrunde verzichten, aber eine Rückkehr zum Niveau der Ära vor Präsident Trump ist auch nicht sehr wahrscheinlich.“
+ Verschoben ist nicht aufgehoben: Zölle auf europäische Autos nur vertagt +
In Europa bangen insbesondere die sowieso schon gebeutelten Autobauer sowie ihre Zulieferer. Zwar hat Präsent Trump die Entscheidung über Zölle auf europäische Automobile wohl auf 2020 vertagt, eine Entwarnung ist dies jedoch keinesfalls.
„Verschoben ist nicht aufgehoben“, sagt Meierschitz. „Die Europäische Zentralbank (EZB), Deutschland und die EU insgesamt standen schon mehrfach in Trumps Twitter-Kritik. Die Sorge, dass er in rund sechs Monaten Zölle auf europäische Autoexporte ankündigen wird, ist also alles andere als unbegründet. Zumal eine weitere Eskalation der Zölle auf chinesische Einfuhren zum Eigentor werden könnte, da sie die amerikanischen Endverbraucher direkt treffen würde. Ein Fokus auf Europa, noch dazu in einem amerikanischen Wahljahr, ist wesentlich wahrscheinlicher.“
Das europäische Wirtschaftswachstum würde bei Zöllen von 10% rund 0,1 Prozentpunkte verlieren, die kumulierten Exportverluste der EU lägen bei 4 Mrd. EUR – fast die Hälfte davon für deutsche Unternehmen (1,8 Mrd. EUR). Im schlimmsten Fall – bei Zöllen von 25% auf Automobileinfuhren – würden sich Exporteinbußen in der EU auf 12,5 Mrd. EUR belaufen, davon 5,6 Mrd. EUR allein in Deutschland.
+ Einzelne Branchen profitieren: Software & IT top; Transportbranche hält sich wacker +
Während die Automobilhersteller und -zulieferer aktuell zu den Verlierern gehören, profitieren andere Branchen wie beispielsweise der Software & IT Dienstleistungssektor von den aktuellen Entwicklungen, Stichwort „Digitale Transformation“. Auch für die Lebensmittel-, Chemie- und Pharmabranche stehen die Vorzeichen grundsätzlich gut. Trotz des langsamsten Wachstums des Welthandels in zehn Jahren, schlägt sich auch die Transportbranche noch wacker.
„Die teilweise hoch verschuldete Transportbranche hält sich trotz vieler Herausforderungen bisher gut“, sagt Meierschitz. „Ein sehr volatiles Umfeld, der schwächelnde Welthandel inklusive Handelskonflikten und Verschiebungen von Warenströmen sowie zahlreiche neue ökologische Anforderungen bei den Emissionen sind nur ein paar der Risiken, mit denen die Branche kämpft. Zwar hat sich das Wachstum der Ausfuhren im Transportsektor in den letzten beiden Jahren deutlich verlangsamt – aber im Gegensatz zu anderen wächst die Branche noch beim Export.“
2018 lagen die Exportgewinne in der Transportbranche noch bei 66 Mrd. USD – mehr als vier Mal so hoch wie 2019 mit lediglich rund 15 Mrd. USD. Für 2020 erwarten die Volkswirte mit rund 20 Mrd. USD Zuwachs eine leichte Entspannung.
Hier finden Sie die vollständige Acredia / Euler Hermes – Studie „Trade Wars: May the Force be with you in 2020 and beyond“ (ENG, pdf)
Hier finden Sie die vollständige Studie zur Automobilindustrie und den neuen CO2-Richtlinien „A perfect storm for car manufacturers?“.
Wien, 25. November 2019
Anhänge:
Pressefoto Gudrun Meierschitz Foto-Credit: Acredia/M. Draper
Pressefoto Marina Machan Foto-Credit: Acredia/M. Draper
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